Sonntag, 2. Oktober 2011

Erlebnisse aus Kursk

Mittwoch, 14. September:
Endlich gib es wieder etwas zu erzählen!!!
Der Unialltag verlief zwar wieder wie gewohnt, das Nachmittagsprogramm aber hielt noch einige Überraschungen für uns bereit. Gegen 17 Uhr nämlich, wurden wir von unserem Exkursionsbus abgeholt, der uns zu einem weiteren Reiseziel brachte. Diesmal handelte es sich nicht um eine Sehenswürdigkeit oder eine historische Stätte, sondern um das Eisstadion der hiesigen Eishockeymannschaft. Wir gingen Schlittschuh laufen!
Während diese Freizeitaktivität in Deutschland meiner Erinnerung zufolge eher einer jugentlichen Altersklasse vorbehalten ist, trifft man hier Sportbegeisterte jeder Altersschicht, vom Grundschulalter über die goldene Jugend bis ins Erwachsenendasein, an. Der eben verwendete Begriff "Freizeitaktivität" gibt aber nicht exakt wieder, weswegen sich die Mehrheit der Leute hier einfindet; "Training" würde hier eher passen. Nach kurzem Nachdenken fiel mir auch direkt auf, wofür hier trainiert wird: Sotschi 2014! Die kleinen Mädchen und Jungen, die sich hier so voller Grazie und Geschmeidigkeit über das Eis bewegten, wobei mir nur wenige davon bis zum Bauchnabel reichten, sind zweifelsohne die Talente der kommenden Winterolympiade.
Obwohl wir uns nach anfänglich turbulenten Bewegungsabläufen und einem ziemlich ungewönlichen Sinn für Gleichgewicht ziemlich gut anstellten, konnten wir natürlich nicht mit den Kindern mithalten, die so unbeschwert auf einer Kuve fahrend, das andere Bein hinter dem Rücken über den Kopf gezogen, ihre Runden drehten, während andere, stets unter dem Drill ihrer Trainer und Mütter, diverse schwindelerregende, aber sehr beeindruckende Kunststücke des Eiskunstlaufes einstudierten.
Es wurde aber nicht ausschließlich für Eistanz und Eiskunstlauf trainiert, denn die Russen sind neben den Kanadiern auch als große Eishockeynation bekannt. Das beweiste uns ein Teenager, der entweder seinen Geschwindigkeitsrekord von einer Seite des Feldes zur anderen zu brechen versuchte, oder seinem Fahr- bzw. Sturzverhalten nach, suizidgefährdet sein muss.
Alles in allem hatten wir hier neben einer Menge Spaß auch wieder einiges an Erfahrungen und Eindrücken gewonnen, die sich von den deutschen Gewohnheiten in fast jeder Hinsicht, wenn auch nur leicht, unterscheiden. Dieser Ausflug verdient eine "glatte 1"!



Die Rückfahrt traten wir mit unserem ersten öffentlichen Verkehrsmittel hier in Kursk an. Für alle, die eine solche Fahrt noch nicht selbst erlebt haben, hier einige wenige Worte dazu. Zunächst gestaltet sich eine Busfahrt in der Hinsicht schwierig, dass es keine Fahrpläne gibt, an die man sich akribisch hält. Man wartet auf einen Bus, der dann irgendwann kommt, was genausogut eine Minute, wie zwanzig dauern kann. Tatsache ist, dass so ziemlich jede Linie zwischen drei und fünf Mal in der Stunde fährt (außer nachts). Die nächste Hürde besteht darin, die richtige Linie in die gewünschte Richtung zu erwischen. Einfacher wäre das natürlich mit einem Stadtplan, der die Buslinien und -haltestellen zeigt; so etwas habe ich hier aber noch nirgends gesehen und auch die hiesigen Buchläden und Kiosks vertrösten mich mit dem mittlerweile vertrauten Satz, dass ich es doch woanders versuchen soll...
Im Bus eingestiegen hält man am besten 10 Rubel bereit, denn die Dame, die die Fahrkarten verkauft (einen Vorverkauf braucht man hier nicht), kommt zu jedem einzeln.
Ansonsten gibt es keine Unterschiede zum Busfahren in Deutschland. Auch die Anstandsregeln sind dieselben, wenn auch hier scheinbar mehr wert darauf gelegt wird, dass man älteren Leuten seinen Platz anbietet.

Das war's vom Mittwoch der zweiten Woche. Da ich mit meinen Einträgen allerdings ziemlich hinterher hinke, schicke ich hier direkt die nächsten mit...

Donnerstag, 15. September:
An sich ein Tag wie jeder andere, hielt der Landes- und Kulturkundeunterricht eine angenehme Überraschung für uns bereit: wir begannen einen Film zu sehen, der alle Jahre wieder anlässlich des Jahreswechsels im russischen Fernsehen ausgestrahlt wird. Sozusagen das "Dinner for One" der Osteuropäischen Kultur. Dieser Vergleich verbirgt aber die Tagsache, dass es sich bei "Ironia Sud'by" (ирония судьбы: Ironie des Schicksals) um einen zweiteiligen Spielfilm von etwa zwei Stunden Laufzeit handelt. In diesem Film werden zahllose Klischees der Sowjetzeit aufgegriffen und verarbeitet, was im Prinzip den gesamten Humor ausmacht. Für alle, die die Geschichte nicht kennen, hier eine kleine Zusammenfassung:
Jewgenij ist ein moskauer Chirurg, der mit seinen drei Kumpels eine gewisse Tradition hat: jedes Jahr zum 31. Dezember treffen sich die vier in der Sauna, um das vergangene Jahr zu verabschieden und aufeinander anzustoßen. Speziell an diesem Jahr nimmt sich Jewgenij vor, nichts zu trinken, weil er das neue Jahr mit seiner frisch Verlobten gemeinsam begehen will und deshalb alle am nächsten Tag zu sich zum Trinken einlädt. Einer seiner Freunde, Pavel, besteht aber darauf, dass alle zusammen anstoßen, da er später noch nach Leningrad fliegen muss und er sich angemessen verabschieden möchte. Wie es aber unter guten Freunden die Tradition verlangt, lässt sich Schenja (Kosename zu Jewgenij) dazu herab, einen Schluck mitzutrinken: und schwupps, ist die erste Flasche Vodka leer. Die nächste Szene spielt am Flughafen, wo Pavel von den anderen Dreien verabschiedet werden soll. Da sich aber unglücklicherweise keiner mehr daran erinnert, wer von ihnen genau nach Leningrad fliegen soll, wird der im Vollrausch schlafende Schenja kurzerhand in den Flieger gesteckt. In Leningrad angekommen, nimmt sich Schenja ein Taxi, und nennt dem Fahrer seine Anschrift: "Dritte Arbeiterstraße, 25, Wohnung 12". Hier beginnt der Witz der Geschichte: genau wie in Moskau, gibt es auch in Leningrad eine solche Straße und die Hausnummer ist einem identisch aussehenden Wohnblock zugeordnet (ein Seitenhieb auf die Massenfabrikate der Sowjets). Schenja wird kein bischen stutzig, da er ja nicht weiß, dass er sich in Leningrad befindet und sein Pegel noch immer kein vernünftiges Denken zulässt. Also packt er seinen Schlüssel aus, um das Haus zu betreten. Der Schlüssel passt auch. Noch immer stockbesoffen, lässt sich Schenja ins Bett fallen. Was er bis dahin nicht bemerkt: es handelt sich um die Wohnung der jungen Lehrerin Nadja, die später sehr energisch auf die Anwesenheit des ungeladenen Gastes reagieren soll, während sie ihrerseits ihren Verlobten erwartet.
Es folgen hitzige Diskussionen, missverständliche Telephonate und unglaubliche Zufälle in einer Liebesgeschichte mit vielen Höhen und Tiefen...
Dieser Film sollte als Anreiz ausreichen, der russischen Sprache Herr werden zu wollen!

Nach dem Abendessen erweiterten wir unseren Horizont hinsichtlich der Orstkundigkeit, indem wir einfachmal in die andere Richtung der Straße gingen, die wir jeden Tag auf dem Weg zur Uni einschlagen. Hier fanden wir uns sodann in einem Buchladen wieder, einem bei mir persönlich sehr beliebten Ziel hier in Russland, aus zweierlei Gründen: erstens trifft man hier kaum Leute und kann sich in aller Ruhe umsehen und beim Stöbern die Zeit vergessen, zweitens aber, weil die Bücher hierzulande sehr viel schöner gestaltet sind und zudem nur ein Bruchteil von dem kosten, was man dafür in Deutschland zahlt! Hier schoss mir wieder ein vertrauter Gedanke durch den Kopf: "es fallen quasi gar keine weiteren Ausgaben an!" Unter diesem Motto schlug ich wieder mehrmals zu und ging erst nach anderthalb Stunden mit einer schweren Tüte und einem leichten Geldbeutel wieder aus dem Geschäft hinaus. Als mein neues Eigentum darf ich fortan Veröffentlichungen wie Harry Potter auf Russisch, diverse Märchen, Gedichte und Enzyklopädien für Kinder bezeichnen, in denen Musiker, Tier- und Pflanzenwelt übersichtlich und in verständlicher Sprache dargestellt sind. Wenn das mal nicht nach einem Erfolgreichen Unternehmen klingt!

Wie schon so oft ließen wir den Abend bei ein paar Episoden "How I Met Your Mother" in geselligem Beisammensein ausklingen.

Freitag, 16. September:
Erst vorgestern nahmen wir im Kulturkundeunterricht das Thema "Aberglaube und Vorzeichen" durch (darunter einige, die es auch bei uns gibt), da stehe ich am Freitag morgen mit dem linken Fuß zuerst auf und werde nach zwei Schritten auf der Straße von einer schwarzen Katze gekreuzt, die sich alle Mühe gab ihren Job richtig zu erledigen und gleich mehrmals vor meinen Kommilitoninnen und mir hin- und herrannte. Des weiteren verließen uns in der Nacht zum Freitag zwei Österreicherinnen, was unsere Anzahl ungeschickterweise auf 13 reduzierte. "Ein guter Start in einen schlechten Tag", könnte man meinen. Tatsächlich hatte ich nicht mehr Glück oder Unglück als sonst auch, nichtsdestoweniger hielt ich die geballte Erscheinung schicksalhafter Omen für bemerkens- und erzählenswert...
Der Unitag ging überraschend schnell vorüber, was mit Sicherheit am richtigen Verhältnis von konzentriertem Arbeiten und der Vorfreude auf zwei freie Tage gelegen haben wird; zum Teil aber auch an der Fortsetzung des Films "Ironie des Schicksals", den wir gestern zu gucken anfingen und dessen Inhalt ihr daher vom gestrigen Eintrag bereits einigermaßen kennt.

Am Abend setzten wir uns mal wieder auf meinem Zimmer bei Unterhaltung durch Film und Gespräch zusammen und gingen nicht allzu spät zu Bett, um für ein weiteres Wochenende ausgeruht und unternehmungslustig zu sein.

Und wieder einmal sage ich "auf Wiedersehen" und Grüße alle, die ich sonst in der Heimat um mich hätte!!!

Euer Martin

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